Der Westweg

Den Großteil meiner Jugend habe ich einen Steinwurf entfernt vom Westweg im Nordschwarzwald verbracht. Von seiner Existenz hatte ich immer schon gewusst, doch Lust ihn zu gehen hatte ich lange Zeit nicht.

Das änderte sich, als ich in Kanada nach jahrelanger Vorfreude endlich den West Coast Trail auf Vancouver Island wanderte.

Eines Abends, beim Zelten an einem Wasserfalls am Strand des Pazifiks, gesellte sich ein anderer Wanderer zu mir. Wir kamen am Lagerfeuer ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass er gleich nebenan in Vancouver wohnte und den West Coast Trail fast jedes Jahr ein Mal gewandert war. Voller Neid erzählte ich ihm davon, wie lange ich mich schon auf diesen Klassiker gefreut hatte und es nun kaum glauben könne, durch den Wilden Westen Kanadas zu „trekken“.

Da erwiderte er, dass es für ihn auch einen solchen Traum-Wanderweg gebe, und zwar den Westweg im Black Forest.

Als ich ihm verriet, dass ich an seinem Trailhead aufgewachsen, den Weg aber noch nie gewandert sei, da fiel ihm vor Schreck fast das Gesicht in den Ozean.

Kurzum: nach meiner Wanderung auf dem West Coast Trail und der darauf folgenden Radtour quer durch Kanada vom Pazifik zum Atlantik verabredete ich mich mit einer Handvoll Freunden, um gemeinsam gleich nach meiner Rückkehr von Pforzheim nach Basel auf dem Westweg zu wandern. Dieser Kanadier hatte meine Neugier auf meinen Heimwanderweg geweckt.

Und er sollte Recht behalten: die Wanderung führte mich 1995 längs durch den westlichen Schwarzwald, und auf den 10 Etappen kam ich durch 13 Orte – davon sieben am ersten Tag. In anderen Worten: ich erlebte den Schwarzwald zum ersten Mal „von innen“ und erkannte, dass ich gar keine Vorstellung davon hatte, wie abgelegen es sich darin wandern lässt.

Und 17 Jahre später wollte ich es wieder wissen. Letzte Woche haben wir uns auf die Wandersocken gemacht und sind (die erste Etappe war zum Testen der Ausrüstung schon ein paar Wochen vorher erfolgt) von/vom Dobel die ersten 116 Kilometer bis nach Hausach gewandert.

Mitgebracht habe ich wieder eine ganze Menge Ideen und Überzeugungen:

  • Die vielen Gerüche im Wald sind „in meinen Augen“ das Schönste der gesamten Tour
  • Der Westweg ist durch eine verbesserte Wegeführung noch schöner geworden
  • Die Vielfalt des Waldes ist ein tolles Erlebnis
  • Es war einerseits erstaunlich wenig los, wir konnten überall rasch ein Bett finden
  • Wir haben andererseits unser Zelt umsonst geschleppt
  • Der Hikeline-Führer ist praktisch vom Format und Papier und Bindung (unnötige Seiten lassen sich entfernen), aber Waldgrenzen und Quellen sowie Brunnen sind unvollständig verzeichnet. Um den Weg zu finden reicht es, aber um gezielt Wasser nachzufüllen braucht man die topografischen Karten
  • Die Ausschilderung ist perfekt
  • Es gibt genügend Hütten, um dort ohne Zelt zu schlafen
  • Meine Fotos von 1996 und 2012 verraten einen erschreckend gleich gebliebenen Stil. Das wäre einen eigenen Blogpost wert.
  • Ich freue mich schon auf den zweiten Teil im Süden!
Ideen für den Westweg:
  • Die Openstreetmap ist hervorragend. Der schmale Korridor am Westweg könnte mit wenig Aufwand komplettiert werden mit Hütten, Quellen und Brunnen – falls er das nicht längst ist. Ein PDF auf 2-3 Seiten mit dem gesamten Weg wäre eine perfekte Hilfe. Vielleicht baue ich das mal.
  • Es fehlt eine GUTE App mit Feedback-Funktion, damit Wanderer Wissen für Wanderer sammeln können. Navigation ist hier nicht mal das Wichtigste. Schwarzwaldverein und/oder Schwarzwald-Tourismus, soll Toursprung das machen?
  • Während der Wanderung kommunizierten drei Tourismusverbände mit mir auf Facebook. Das hat RICHTIG Spaß gemacht. Hieraus könnte man ein tolles Konzept machen, von dem auch die Facebook-Pages profitieren können. Vielleicht setze ich diese Idee für meine Jakobsweg-Seite auf Facebook um.
  • Warum beginnt der Westweg im östlichen Pforzheim mit einer unschönen und untypischen Etappe? Das ist Quatsch. Er sollte in Karlsruhe oder Neuenbürg starten!
  • Die Tourismusverbände sollten mit den lokalen Outdoor-Läden gemeinsame Aktionen starten.  Rheinland-Pfalz Tourimus macht das mit Globetrotter perfekt vor, und sie feiern gerade mit absolut verdienten 3,6 Mio Anreisen das beste touristische Halbjahr ever. Konkrete Vorschläge gibt es bei mir gegen ein Abendessen.
  • Die Webseite vom Westweg ist unterirdisch schlecht. Sie schreit nach privatwirtschaftlichem Wettbewerb. Schwarzwaldverein, das kannst du besser!
So, jetzt aber genug geheult. Hier sind 74 Fotos vom ersten Teil des Westwegs:
Auf dem Dobel ging es los, der gesamte Nordschwarzwald, also 106 Kilometer und fünf Tage trennen uns von Hausach.

 

Die Ausschilderung des Westwegs ist vom ersten Meter an perfekt. Wir haben nicht einmal nach den Schildern suchen müssen, sie standen immer genau in dem Moment sichtbar im Wald, als wir uns gleich gefragt hätten, wo es lang gehen würde. So geben die Schilder den Blick frei auf die Landschaft. Bravo!

 

Noch in Wurfweite vom Dobel steht die erste Hütte. Eigentlich zu früh für eine erste Pause, doch für eine 1/125 Sekunde halten wir.

 

Der Fingergut sieht schöner aus als er schmeckt. Ok, er ist giftig, man sollte das Schmecken lieber nicht versuchen.

 

Ganz harmlos und auch viel schlechter geschützt wächst hingegen dieser Löwenzahn auf dem Weg.

 

Blühende Kratzdistel

 

Immer wieder herrliche mannshohe Gräser am Wegesrand – nicht nur auf den Grinden.

 

Neben meiner kleinen und leichten Nikon P310 habe ich dieses Mal ein leichtes Stativ mitgenommen – weniger für die Aufnahmen bei Dunkelheit, sondern vielmehr für gelegentliche Perspektivwechsel.

 

Schmalblättriges Weidenröschen (rosa) und Haingaiskraut.

 

Das ist die Weiß-ihren-Namen-noch-nicht-Pflanze…

 

Blick ins Tal auf eine tote Fichte.

 

Haingaiskraut vor dem Blick auf Bad Herrenalb.

 

 

Vespertische haben genau die gleiche Form wie Yoga-Matten.

 

Trankstelle im Wald – hier gibt es bestes Quellwasser.

 

Der Bohlenweg am Hohlohsee darf nicht hiermit verwechselt werden.

 

Feinste Aussicht vom Hohlohturm auf den nördlichen Schwarzwald.

 

Blick von der Draberghütte ins Murgtal.

 

Einer von zig Admirälen auf einem großen Strauß blühenden Wasserdorst.

 

Blick über Weidenröschen hinab ins Murg- und Rheintal.

 

Kurze Rast auf dem Latschigfalsen vor dem Abstieg nach Forbach.

 

Hungrig sind wir nach Forbach gekommen, doch haben wir dort nur geschlossene Wirtschaften gefunden. Trotz des Schildes bekam ich etwas Hafer…

 

In Forbach führt der Westweg auf dieser Holzbrücke über die Murg. Auf der anderen Seite geht es dann… eine ganze Weile lang steil bergauf.

 

Erste Rast auf dem Aufstieg mit Blick zurück ins Murgtal nach Forbach.

 

Kurz vor der Badener Höhe wird es fruchtig. Kilometerweit säumen Brombeeren, Walderdbeeren, Himbeeren und vor allem immer wieder Blau- und Preiselbeeren den Weg. Wer sich Zeit nimmt, sammelt hier kiloweise.

 

Blaubeeren, die auf über 1.000 Meter höhe wachsen, sind noch blauer. Hier gerahmt mit Quellwasser, Milchpulver und Haferflocken.

 

Fantastischer 360-Grad-Blick vom Friedrichsturm auf der Badener-Höhe.

 

Der Hochkopf ist ein Grind – also eine unbewaldete Bergkuppe. Eine ganz typische und besonders schöne Landschaft im Nordschwarzwald.

 

Erika auf dem Grind.

 

Schöner kann kein Garten sein. Erika-Landschaft auf dem Hochkopf.

 

Preiselbeeren im Abendlicht.

 

Das folgende Foto hat eine ganz eigene Geschichte:

An dieser Stelle fiel mir auf, dass ich meine kleine Kamera verloren hatte. Als chronisch optimistisches Glückskind überlegte ich mir nicht, ob ich sie wieder finden würde, sondern einzig wo und wann dies geschehen würde.

Ich ließ die Karawane weiter auf dem Westweg ziehen, versteckte meinen Rucksack im Gebüsch und rannte die letzten 5 Kilometer im Laufschritt zurück zu dem Ort des letzten Fotos. Als ich weder auf dem Weg dorthin noch dortselbst meine Kamera finden konnte, wollte ich einen Teil des Weges zurück trampen.

Noch während ich meinen eigenen Optimismus als Voraussetzung zum Wiederfinden meiner Kamera reflektierte, hielt das erste Auto an, hupte kurz, und die Fahrerin winkte in meine Richtung.

An dieser Stelle brach mein optimistisches Selbstverständnis für einen Moment lang ein, denn mir ward gewahr, dass die Fahrerin unmöglich wissen konnte, dass ich gleich trampen wollten würde. So viel Glück brachte mich also ins Zweifeln.

Und natürlich bekam ich, was ich verdiente: von hinter mir erschien ein Tramper und lief zum Auto. Noch während er mit der Fahrerin über die Strecke verhandelte, besann ich mich und holte meinen Optimismus nicht nur zurück, sondern stellte der Welt eine besondere Herausforderung nach der Art: „Sieh, ich bin das Glückskind, und nun gibt mir, was ich verdiene!“

Darauf drehte der Tramper sogleich ab und ging zurück. Offenbar stimmte sein Ziel nicht mit dem der Fahrerin überein. Da war mein Glück also. Ich stieg ein und freute mich über den kurzen Plausch mit einer jungen Försterin.

Als ich zurück am versteckten Rucksack war, da drehten sich meine Gedanken bereits wieder darum, wie ich meine vermisste Kamera bei Google-Suchen nach „Kamera Westweg gefunden“ zu mir zurück geschickt bekommen würde. Ich zweifelte nicht daran, dass dies geschehen würde – schon wegen der vielen Fotos.

Derart in Gedanken versunken und in der Vorfreude auf das Päckchen schwelgend, zog ich also den Rucksack auf und bereitete mich darauf vor, nun mit 14 kg Gepäck auf dem Rücken (minus Kamera) im Laufschritt die Karawane wieder einzuholen.

Doch beim Schultern des Gepäcks fiel plötzlich die Kamera vor meine Füße ins Moos – weil ich ein Glückskind bin!

Etwas kaputt vom Lauf mit Wanderschuhen aber überaus glücklich ließ ich mich darum nicht nur auf die Erde nieder, sondern auch von Passanten zum Andenken fotografieren.

 

Das Schöne am Westweg ist zwar nicht immer das Wetter, aber im schlimmsten Fall dann doch wenigstens noch der spektakuläre Blick darauf.

In diesem Fall erwischte uns der heftige Regen ausgerechnet vor dem 4-Sterne-Hotel am Schliffkopf. Wir nahmen das als ein Zeichen, ließen unser Zelt ein weiteres Mal im Rucksack und nahmen an seiner statt die Massage und die Sauna im Hotel in Anspruch.

 

Ein Bänkchen mitten in der Wolke.

 

Katastrophen-Tourismus im Schwarzwald – auf den Spuren des Orkans Lothar, den ich am 26. 12. 1999 tatsächlich zwischen umgestürzten Bäumen eine Nacht lang auf einer unpassierbaren Straße im Hochschwarzwald im Auto erleben konnte.

 

Alter Wald weg, neuer Wald schon da.

 

Der Lotharpfad ist übrigens Europas kleinster Baumkronenweg.

 

Ich war’s nicht – ehrlich!

 

Kurz vor Zuflucht dachten wir einen Moment lang selbst eine zu brauchen, weil das Wetter wieder bedrohlich wurde.

 

Doch je schlechter das Wetter, desto schöner die Motive.

 

Der Westweg führt mitten durch die Wolke.

 

Wir haben nachgeschaut, aber die Wolken waren in der Karte nicht verzeichnet. Roland Esterbauer, friss das!

 

Dieses Fernrohr mit der Vergrößerung 1 war nicht zu gebrauchen.

 

Fast schon über den Wolken auf dem Weg zur Alexanderschanze.

 

Fingerhut vor Nebel.

 

Die Frau, die aus der Wolke kam.

 

Diese Fichte wächst im Uhrzeigersinn.

 

Einer der ganz wenigen Abschnitte, die der Westweg auf Asphalt verläuft.

 

Erika und Sylvia.

 

Wenn Holzfällern langweilig wird, dann werden Kettensägen zu Kunsthandwerkzeugen.

 

Springkraut – für mich ist sein Duft der Innbegriff von Schwarzwald. Vor allem kurz nach dem Regen riecht es phänomenal gut.

 

Auf dieser Goldrute sammelten etwa 100 wild lebende Zwerghonigbienen die Pollen. Das 360-Grad-Geräusch war klasse!

 

Urwaldähnlicher Pfad durch mannshohe Farne. Getreu dem Motto „Vordergrund macht Bild gesund“ ist der Farn genau so wenig abgerissen und hingehalten wie die Preiselbeeren weiter oben es waren – was logisch gelesen eine wahre Aussage ist.

 

Diesmal kein Lothar, sondern reines Waldsterben.

 

Ich war’s auch diesmal nicht, echt!

 

Der Glaswaldsee. Fast wie in Kanada. Doch ein echter Kar-See.

 

Weicher Weg durch die Fichten.

 

Das Moos leuchtet heller als diese Sicherheitsstreifen in den Flugzeugen.

 

Viel hilft viel.

 

Zum Fallenlassen schön, dieses weiche Moos.

 

Springkraut satt – den Duft hättet ihr riechen müssen. Soooo klasse!

 

Moos und Wollgras (?) satt.

 

Einer von ganz vielen orangen Korallenpilzen.

 

Dies ist ein Hexenring. Also eine Art Landplatz für Frauen mit Besen.

 

Flechte (links) und Wandererin (rechts).

 

Und wieder Springkrauf satt. Ich konnte mich gar nicht sattriechen daran. Je Regen, desto riech!

 

Ok ok, so viel Regen dann doch nicht. Aber wenn ein Glückskind den Westweg wandert, dann regnet es ausschließlich vor 4-Sterne-Hotel oder tollen Hütten.

 

Denn von innen gesehen ist der Regen nicht nur ganz trocken…

 

…sondern auch total gemütlich. In diesem Fall die Hohenlocherhütte, die wochenends vom Schwarzwaldverein Wolfach bewirtschaftet wird.

Wer an der Spendenkasse vorbei geht, kommt in ihren gemütlichen kleinen Raum mit Tisch und Holzofen. Hier gibt es dampfenden Tee, leckeren Kuchen und ganz viel Gemütlichkeit.

Eine knappe Stunde später war unser Nordteil vom Westweg in Hausach zu Ende. Auf den Südteil freue ich mich schon!

Update 4.11.2012: Der Blogpost über die nächsten drei Etappen ist online.

 

About Peter Eich

Mathematiker und Philosoph eigentlich, Seriengründer und Investor tatsächlich. Gründer von Inselhüpfen, Radweg-Reisen, Bikemap, Toursprung, Tourbook, Bodensee-Verlag, und Cyclesummit. Außerdem Referent, Immobilien-Investor, Pilot, NLP-Coach und Barista. Und meistens unterwegs.