1 Milliarde Euro durch Radtourismus

Bislang wurde die publikumswirksame Analyse des fahrradtouristischen Marktes allein dem ADFC überlassen, der jährlich während der ITB seine Radreiseanalyse präsentierte.

Seit Herbst 08 gibt es eine wissenschaftlich fundierte Analyse zur Ergänzung der Analyse des ADFC: die Studie „Radreisen der Deutschen 2008“ der Firma Trendscope (216 Seiten, 598,- Euro und definitiv ihr Geld wert).

Als Geschäftsführer von Deutschlands größtem Veranstalter von Radreisen war ich auf diese Studie natürlich sehr gespannt. Wie erwartet, konnte ich darin kaum etwas Neues entdecken – wer Jahre lang in der Branche aktiv ist, weiß meist viel mehr als sich durch Befragungen erhellen lässt. Vor allem durch vertrauliche Gespräche unter Kollegen und Mitbewerben kann ich den Markt relativ gut einschätzen.

Trendscope unterscheidet begrifflich zwischen Radaufsflügen (ohne Übernachtung), Radkurzurlauben (1-3 Nächten) und Radurlauben (>3 Nächte). Außerdem werden die Typen Radwanderer, Rennradler und MTBler unterschieden.

Leider wurde eine für uns Veranstalter sehr wichtige Unterscheidung praktisch nicht berücksichtigt: nämlich die zwischen Individual- und Pauschalreisenden. Man erfährt nur an einer Stelle, dass etwa 8% der Radurlauber pauschal verreisen – also Kunde des einen oder anderen Vernstalters sind.

Die in meinen Augen überraschendsten Ergebnisse der Analyse sind:

Radurlauber machen viele Radausflüge.

Denn nur 2% von Ihnen haben keinen Radausflug im Vorjahr gemacht, aber 52% hingegen 10 oder mehr davon. Wer sich also für die Zielgruppe der Radausflügler interessiert, kann sie bequem unter den Radurlaubern bewerben. Oder in anderen Worten: Regionen und Verbände, inseriert weniger in Zeitschriften und mehr Katalogen von Reiseveranstaltern!

Radurlauber sind Wiederholungstäter.

Denn 46% von ihnen haben in den vergangenen 3 Jahren mehr als 3 Radurlaube gemacht. Dies ist eine ganz wichtige Aussage für unser Marketing, bei dem wir in erster Linie Direktkunden ansprechen und uns kaum dafür interessieren, unsere Reisen von anderen Veranstaltern verkaufen zu lassen. Dieses – überdies noch margenschwache – Feld überlassen wir gerne unserem Mitbewerber. Mir ist übrigens kein Mitbewerber bekannt, der unseren Direktkundenanteil von 79% übertrifft.

Das Thema GPS wird total überschätzt.
Die genauen Zahlen nenne ich auf Bitte von Trenscope hier nicht (mehr), weil sie dieses Thema zur ITB genauer ausbreiten wollen. Aber sie treffen exakt meine Meinung zum Thema GPS. Selbst bei Bikemap, dem größten Radroutenportal Europas, wo es natürlich einen GPS-Up- und -Download gibt, werden fast alle Daten manuell über die Karten eingegeben. Und als Reiseveranstalter werden wir so gut wie nie nach GPS gefragt.

Dennoch investieren fast alle touristischen Regionen wie wild in das Thema. Vermutlich vor allem, weil an zwei oder drei relevanten Stellen zur Vergabe von Förderlinien das Thema modern klingt. Was für eine inkompetente Geldverschwendung!

Reisemessen werden überschätzt.
Denn nur 1% der Radurlauber sind dort auf einen Veranstalter aufmerksam geworden, hingergen 23% durch gestreute Prospekte. Wer genauer hinschaut, findet auf Radreisemessen seit ein paar Jahren eh nur noch touristische Regionen (die nicht wissen, wie sie sonst Marketing machen sollen, und die noch immer denken Messen wären „state of the art“) und ein paar Radreiseveranstalter, deren Chefs im Pensionsalter sind und die sich nicht anders zu helfen wissen, seit die „neue Generation“ ihnen das Wasser abgräbt.

Der ADFC wird noch viel mehr überschätzt.
Denn nur 1% der Radurlauber interessieren sich für den ADFC (dennoch zog der ADFC bislang seine Analyse nur aus seinen Mitgliedern). Eine verschwindend geringe Anzahl und eine Erklärung für meine Erfahrung, warum Werbung beim ADFC nie das erwünschte Feedback brachte.

Hier noch eine grobe Schätzung des Fahrradtourismus: Knapp 4 Millionen Deutsche haben 2007 einen Radurlaub verbracht, etwa 1,7 Millionen einen Radkurzurlaub. Das ergibt 55 Millionen Radurlaubstage mit einer Nettowertschöpfung von knapp über 1 Milliarde Euro. Radausflügler sind hier noch nicht eingerechnet.

Eine imposante Zahl, der tourtismuspolitisch noch mehr Rechnung getragen werden müsste.

Andererseits ergeben die Zahlen von Trendscope eine Summe von 320.000 Radurlaubern, die mit einem Veranstalter verreisen. Dies ist nach meinen eigenen Schätzungen etwa um den Faktor 2 zu hoch und dürfe die Fehlerrate solcher Statistiken zum Ausdruck bringen.

Dennoch ist die Studie von Trendscope eine starke Verbesserung gegenüber den noch viel vageren Auskünften des ADFC, und sie stützt dessen jahrelange Bemühungen um die Wahrnehmung der Wichtigkeit des Fahrradtourismus. Kurzum: sie ist die bislang beste Studie, die es zum Thema Radtourismus gibt.

Interessanter Weise bin ich nach Aussage von Trendscope von allen Käufern der Studie der einzige (!) Radreiseveranstalter. Ich frage mich oft, warum mein Radweg-Service so viel schneller wächst als der Markt, und warum wir in nur 8 Jahren von Ein-Mann-Unternehmen zum Marktführer wurde. Bestimmt hat die Antwort auf die Frage auch damit zu tun, dass meine Mitbewerber zu wenig Fragen stellen und zu selten Studien lesen…

About Peter Eich

Mathematiker und Philosoph eigentlich, Seriengründer und Investor tatsächlich. Gründer von Inselhüpfen, Radweg-Reisen, Bikemap, Toursprung, Tourbook, Bodensee-Verlag, und Cyclesummit. Außerdem Referent, Immobilien-Investor, Pilot, NLP-Coach und Barista. Und meistens unterwegs.