Im Jahr 1988 war ich Schüler, und mein Freund Christian nahm mich eines Abends mit zu einer Aufführung zweier Clowns in unserer Kleinstadt. Genauer gesagt eines Clowns und einer Clownin, nämlich dem damals als Duo bekannten Bühnenpaar Illi & Olli.
Den Namen der beiden hatte ich sofort wieder vergessen, und erst zwei Jahre später, als wir Studenten waren, entdeckte ich bei einem Besuch in Christians Zimmer in Freiburg ein Poster der beiden Clowns, das er über sein Bett gehängt hatte.
Im folgenden Jahr sah ich an meiner Uni in Konstanz einen Aushang, weil der Clown Hauenstein einen technischen Helfer und Fahrer suchte. Ich nahm den Zettel ab und schickte ihn meinem Freund Christian, weil ich dachte, es könnte vielleicht derselbe Clown sein, und vielleicht würde es ihn ja interessieren.
Wir haben bis heute nicht darüber gesprochen.
Ein Jahr später saß ich in meiner ersten akademischen Motivationskrise fest, denn ich konnte dem Reputationszirkus rund um die Suche nach dem ewig Wahren (also den Grundlagen der Logik und Mathematik) nicht mehr dieselbe Wichtigkeit abgewinnen wie zuvor. Wenn an der Uni selbst bei der Suche nach der Wahrheit mehr der Eindruck als der Inhalt zählte, dann wollte dort nicht länger sein. Ich begann also zu reisen.
Zwei Semester im Ausland und zwei Kontinente per Rad später hatte ich mich meinem alten minimalistischen Ideal wieder genähert, das ich im fahrenden Volk sah. Das sind jene freien Gesellen, die nur mit einem Rucksack beschwert durch die Welt ziehen und sich auf den Fußgängerzonen ein paar Groschen für ihre Reise verdienen, die mehr eine Lebensform als ein Abschnitt ist.
Kurzum: ich unmotivierter Student jobbte fortan nebenher als motivierter Straßenclown und verdiente dabei den dreifachen Stundenlohn wie bei meinem Unterricht in formaler Logik an der Uni. Außerdem brachte ich Menschen zum Lachen, und ich war ortsunabhängig und draußen.
Zugleich wusste ich, dass „man“ kein Studium in Mathematik und Philosophie abbricht, um als Clown durch die Welt zu ziehen.
Darum entschied ich mich vor dem eventuellen Besuch einer Clown-Schule zuerst etwas genauer hinzuschauen, ob mich da nur eine vorübergehende Laune ritt oder nicht. Kurzum: ich erinnerte mich an diesen Clown und seinen Aushang, und ich dachte mir: schau dir das erst mal genauer an.
Doch das war die Zeit vor Google und vor Evernote. Ich wusste nur noch, dass da irgendein Clown irgendeinen Helfer gesucht hatte, und dass jener wohl in der Umgebung meiner Uni leben müsste.
(Ja, ich hätte meinen Freund Christian fragen können. Aber aus irgend einem Grund kam ich nicht auf diese Idee.)
Also tat ich, was man damals in solchen Situationen tat: ich betrat die Bibliothek der Uni und begab mich zu den allwissenden Damen an der Auskunft – dem analogen Suchfeld der damaligen universitären Suchmaschine.
Dort waren wie immer diese beiden: die große hübsche, in die alle Studenten verliebt waren, und dann noch die andere kleine, die immer alles wusste.
Ich ging also zu der kleinen Frau und stellte meine reichlich unpräzise Frage: es muss da so einen Clown in der Umgebung von Konstanz geben, der hier mal mit einem Aushang einen Helfer suchte, und dessen Telefonnummer suche ich.
Es kam, wie es kommen musste, die kleine Frau runzelte kurz die Stirn, ging ein paar Schritte zurück und verschwand hinter der Glasscheibe in ihrem Büro. Dort griff sie zum Telefon, sprach ein paar Worte hinein, die ich nicht hören konnte, und dann winkte sie mich zu sich ins Büro, reichte mir den Hörer und sagte: Olli Hauenstein ist am Apparat.
Merke: das Law of Attraction funktioniert auch, wenn du noch gar nicht weißt, was es ist.
Völlig perplex durch diesen größten anzunehmenden Zufall, dass ausgerechnet die kleine Frau und der Clown sich privat kannten, stotterte ich ins Telefon, dass ich gerne als Helfer eines Clowns arbeiten würde.
Ein paar Tage später begann ich für Olli Hauenstein als Fahrer, Bühnentechniker, Aufbauhelfer und irgendwann auch als guter Freund zu arbeiten, und der Job begleitete mich mehrere Jahre und viele zehntausend Autobahnkilometer weit über meinen späteren Studienabbruch hinaus bis in meine ersten Jahre als Unternehmer.
Erst als meine erste Firma immer größer wurde, musste ich meine Arbeit für Olli Hauenstein schweren Herzens weiterreichen.
Rückblickend sehe ich, wie viel mehr ich durch die Arbeit an der Seite eines Bühnenclowns gelernt habe als durch mein Studium. Dafür bin ich meinem guten Freund Olli Hauenstein unendlich dankbar!
Und über das, was man als Unternehmer von einem Clown lernen kann, werde ich bei Gelegenheit einen eigenen Artikel auf Gründerviews schreiben.